Wiedigsburg

Historische Wiedigsburg

Wenn Schulmauern erzählen könnten … Geschichte des Schulstandortes Wiedigsburg soll weiter erforscht werden
Herder-Schüler suchen Kontakt zu ehemaligen Schülern und Lehrkräften

Das historische Gebäude Wiedigsburg bickt auf eine über 100-jährige Schultradition zurück.
Das 1905 ursprünglich als "Mädchenvolksschule II" errichtete Gebäude stellte nur den Nordflügel dar. 1911 wurde es um den Südflügel für die Jungen erweitert und besteht seitdem in seiner heutigen Form. Im Laufe der Jahre beherbergte die Wiedigsburg eine Vielzahl von unterschiedlichen Schularten.
Im Zuge der Würdigung reformatorischer Bewegungen erfolgte 1927 eine Benennung der Mädchenschule im Nordflügel in "Justus-Jonas-Schule" und der Jungenschule im Südflügel in "Meyenburgschule". Von 1908 bis 1937 befand sich in dem Gebäude auch die katholische Domschule. Diese wurde in Folge der nationalsozialistischen Herrschaft aufgelöst.
Während des 2. Weltkrieges wurde die Schule zum Teil einer Fremdnutzung unterworfen, ehe sie im Oktober 1945 nach notdürftiger Reparatur den Schulbetrieb wieder aufnehmen konnte. Die Töpfertorschule zog wegen Zerstörung eigener Räumlichkeiten in den Nordflügel der Wiedigsburg mit ein, sodass ein gestaffelter Vor- und Nachmittagsunterricht erfolgen musste.
Im Südflügel wurde nach 1945 die kaufmännische Berufsschule aufgenommen, später dann die Pestalozzi-Schule.
Die sozialistische Ausrichtung bewirkte nach Oktober 1949 eine Umbenennung in "Polytechnische Oberschule Ernst Thälmann" und den koedukativen Unterricht. Diese POS bestand bis zur Wende. Seit 1991 beherbergt die Wiedigsburg das Herder-Gymnasium.

Viele Schüler, Vorschüler und Lehrkräfte durchliefen seit der Existenz des Gebäudes dessen Flure und Räumlichkeiten. Einige fanden bereits den Weg an ihre alte Schule zurück, organisierten Klassentreffen, stellten sich den Fragen der Schüler von heute und halfen mit Leihgaben bei der Ausgestaltung eines alten Klassenraumes anlässlich des 100jährigen Bestehens der Grundsteinlegung des Hauses mit.
Die seit einigen Jahren am Herder-Gymnasium Nordhausen existierende Arbeitsgemeinschaft Wiedigsburg beschäftigt sich mit der Historie des geschichtsträchtigen Gebäudes und untersucht den Schulstandort zu unterschiedlichen Zeiten. Außerdem führen die Gymnasiasten der Oberstufe Gespräche mit ehemaligen Schülern und Lehrkräften, um mehr über Traditionen und Alltagssituationen zu erfahren. Die Schüler der AG bieten des Weiteren Führungen durch die von 1997 bis 2001 restaurierte Schule an, um Erinnerungen zu wecken, persönliche Erfahrungswerte auszutauschen und das gegenwärtige Gesicht der alten Dame Wiedigsburg zu präsentieren. Termine dazu sind über das Sekretariat in Absprache mit der Projektleiterin Heike Roeder jederzeit möglich: nachmittags, samstags, sonntags, zu Ferienzeiten.
Allerdings weist die Geschichte des Hauses nach wie vor große Lücken auf. Um diese zu schließen würden sich die Schüler freuen, weitere Zeitzeugen aufzuspüren, die sich mit ihrer alten Bildungseinrichtung verbunden fühlen, einer Fragerunde nicht abgeneigt sind und eventuell einen Einblick in persönliche Dokumente nicht scheuen. Besonderes Augenmerk legen die jungen Leute derzeit auf die Vertiefung ihrer Kenntnisse über das Schulhaus während der Weimarer Republik bzw. der Zeit des Nationalsozialismus. Interessenten können sich über das Sekretariat (Frau Kotte, 4680910) melden. Termine sind vor Ort oder nach Wunsch möglich.

Bild: Historische Postkarte, um 1911

Die historische Wiedigsburg – Schule und Schulalltag

Entstehung und Kaiserzeit

Genau wie 1990 mit Blick auf die Gründung der EOS II – J.G. Herder zeichneten auch die steigenden Schülerzahlen um 1900 dafür verantwortlich, dass die vorhandenen Schulplätze nicht mehr ausreichten. Zurückzuführen ist dies auf den Bevölkerungsanstieg am Ende des vorigen Jahrhunderts. So wurde im Jahre 1905 mit dem Bau einer neuen Volksschule auf der Wiedigsburg begonnen, die bereits 1906 als Mädchenvolksschule II in Betrieb genommen wurde.

Ansicht des Nordflügels der Wiedigsburg im September 1905

Schon 1906 würdigte die Schulverwaltung in einem Bericht das Gebäude: „ Es ist damit, wie auch von berufener Seite anerkannt worden, ein Musterbau geschaffen. Die Ausstattung ist gediegen und praktisch. Schulbrausebad, Haushaltungsschule und andere moderne Schuleinrichtungen sind vorhanden.“ Die geräumigen Klassenzimmer, der große Zeichensaal im Dachgeschoss, moderne Sanitäranlagen mit Wasserspülung und eine dadurch notwendig gewordene Beheizung (hier in Form einer Dampfheizungsanlage) sind nicht zu vergessen.

Da eine ähnliche Entwicklung der Schülerzahlen in der Knabenvolksschule zu verzeichnen war und die Schule am Petersberg den Bedarf nicht decken konnte, musste auch hier nach neuen Möglichkeiten gesucht werden. Die gefundene Lösung ist im Verwaltungsbericht aus dem Jahre 1909 nachlesbar: „ Die Unzulänglichkeit der Räume machte die Erweiterung des Volksschulgebäudes auf der Wiedigsburg notwendig.“ Zwei Jahre später, am 18.10.1911, berichtete die Nordhäuser Volkszeitung von der Einweihung des Erweiterungsbaus als Knabenvolksschule II. Der Anbau wurde dem Altbau angepasst. Der Baustil des Gesamtgebäudes beinhaltete Elemente des Jugendstils sowie Motive des norddeutschen Backsteinbaus. Jährlich waren nun 1500 bis 1700 Schüler und Schülerinnen in der Wiedigsburg zu verzeichnen.

Nordhausen erwies sich bereits zu dieser Zeit als eine Stadt, die auf dem Gebiet der Volksbildung allen Gemeinwesen mit vergleichbaren Einwohnerzahlen voranging, wie der damalige Schulrat Dr. Ditters als Vertreter der Regierung das Engagement der Stadtbehörde würdigte. Neben den Schulbau auf der Wiedigsburg sei in diesem Zusammenhang auf Schulbäder, die Waldschule in der Nähe des Geheges oder die Schulärzte verwiesen. 1912 erfolgte die Einrichtung eines Schulhortes, die Verbesserung der Gesundheitsvorsorge durch die regelmäßige zahnärztliche Untersuchung sowie die Einführung einer Schulspeisung, die aus einem großen Glas Milch bestand, für Bedürftige. Auch während des Ersten Weltkrieges behielt man diese soziale Maßnahme, wenn auch in bedingt reduzierter Form bei. Zudem gab es für ca. 100 bedürftige Kinder sogar Mittagessen aus der Krankenküche. Das Unterrichtsgeschehen selbst wurde durch die Begleiterscheinungen des Krieges negativ beeinflusst und führte z.T. zu einer Verwahrlosung der Schuljugend sowie zu einem verschlechterten Gesundheitszustand. Die Einberufung von Lehrern, Unterrichtsausfall wegen Kohlenmangels (z.B. 1917 sechs Wochen) und veränderte familiäre Verhältnisse (Vater einberufen, Mutter berufstätig) seien als Gründe aufgeführt. Allerdings war auch eine patriotische Haltung der Jugendlichen zu verzeichnen, die sich in eifrigen Sammelaktionen (Wildfrüchte, Papier) oder in Ernteaktionen niederschlug.

1908 zog auch die Anfang des 19. Jh. gegründete katholische Schule Nordhausens, die Domschule, mit ihren 120 Schülern in die Wiedigsburg um. Insbesondere nach dem Anbau waren so größere Räumlichkeiten geboten als im alten Schulgebäude in der Domstraße 10. Die nun im ersten Stock des Südflügels ansässige Domschule wurde vom restlichen Schulkomplex durch einen Bretterzaun abgetrennt. Die räumliche Enge auf dem Schulhof gestattete es den Kindern dabei bloß, sich zu zweit im Kreis zu bewegen und ihr Frühstück zu verzehren. Zwischen den Domschullehrern und der übrigen Lehrerschaft bestand ein kollegiales Verhältnis.

(Im Zuge der nationalsozialistischen Ausrichtung wurde die Domschule 1937 unter großem Protest der Lehrer, Eltern und Schüler aufgelöst.)

Weimarer Republik

Die Weimarer Republik brachte aufgrund ihres sozialpolitischen Charakters einen weiteren Aufschwung des Bildungswesens und der sozialen Betreuung mit sich und wirkte sich auch auf die Wiedigsburg aus. Mit der Errichtung des „Solbades“ erfuhr schon 1919 die Gesundheitsfürsorge eine Verbesserung. Im Baderaum wurde das heilende, stark salzhaltige Wasser z.B. im Jahre 1925 von 300 kranken Kindern genutzt und ihr Gesundheitszustand verbessert. Auch die Einführung des Schwimmunterrichts 1921 und das orthopädische Turnen sind unter dem Aspekt der Gesundheitsvorsorge zu betrachten. Ein hauptamtlicher Schularzt (später noch eine Ärztin) war für die regelmäßige Untersuchung der Nordhäuser Kinder zuständig. Bedürftigen Kindern wurde weiterhin eine Schulspeisung (täglich ein Viertel Liter Milch und ein Milchbrötchen pro Schüler) und nun auch Lehrmittelfreiheit gewährt.

Hinsichtlich der Unterrichtsinhalte war man bemüht, die Entwicklung praktischer Fertigkeiten bei den Schülen zu fördern. Neben der Einführung eines Handfertigkeitsunterrichtes (auch für Knaben waren Kochen, Nähen, Handarbeiten und Säuglingspflege Pflicht) sei auf den 1921 eingeführten Schulgartenunterricht für Mädchen verwiesen.

Turnübung auf dem Schulhof der Meyenburgschule um 1920

Insbesondere im Bereich des Sports setzte man neue Maßstäbe:

Die regelmäßig durchgeführten Reichsjugendwettkämpfe der Schulen wurden in Nordhausen mit großem Aufwand durchgeführt. Da die kleine Turnhalle mit ihren Sportgeräten sowohl für alle WiedigsburgschülerInnen als auch aufgrund der hohen Klassenstärken nicht ausreichte, turnte ein Teil der Schüler an den Geräten und ein Teil auf dem Boden. Dazu wurden Wolldecken ausgelegt, um die Fußbodenkälte etwas zu dämmen. Bei gutem Wetter nutzte man den Platz neben der Turnhalle, wo sich auch die Sandgrube für Sprungübungen befand.

Im Gegensatz zu späteren Zeiten war der Schulunterricht der Weimarer Republik recht unpolitisch ausgerichtet. Themen verschiedener Schulfeierlichkeiten verdeutlichen diesen Eindruck. Gedenkfeiern für berühmte Persönlichkeiten des deutschen Kulturlebens standen im Vordergrund, z.B. für K.M.v.Weber, Luther, Pestalozzi, Beethoven. Selbstverständlich wurde den alljährlichen Verfassungsfeiern oder den Geburtstagen des Reichspräsidenten v. Hindenburg zeremoniell gedacht, insbesondere im Jahre 1927 dem 80. Geburtstag Hindenburgs.

Anlässlich der 1000-Jahrfeier der Stadt (1927) wurden den Wiedigsburgschulen Namen verliehen. So erhielt die Mädchenvolksschule II im Nordflügel den Namen „Justus-Jonas-Schule“ und die Knabenvolksschule II im Südflügel die Bezeichnung „Meyenburgschule“. Mit diesen Benennungen knüpfte die Stadt bewusst an die reformatorische Tradition an, da Justus Jonas als gebürtiger Nordhäuser und enger Freund Luthers wesentlich zur Durchsetzung der Reformation in Sachsen beigetragen hatte und sich ebenso wie Michael Meyenburg um die Einführung der Reformation in Nordhausen verdient gemacht hatte.

Nordwestansicht der Wiedigsburg um 1915

Dass 1926 die Reichslehrerkonferenz in Nordhausen abgehalten wurde, ist als eine Würdigung des schulpolitischen Engagements der Stadt anzusehen. Die Stadt Nordhausen hatte sich aufgrund ihrer bildungsfreundlichen Einstellung nicht nur in der näheren Umgebung ein hohes Ansehen erworben.

Drittes Reich (1933 – 1945)

Die mit dem Nationalsozialismus verbundene Gleichschaltung und Politisierung des Lebens wirkte sich selbstverständlich auch auf die Schulpolitik aus. Als nationalsozialistische Lehrstätten dienten beide Wiedigsburgschulen. Mit staatlicher Unterstützung wurden die HJ (Hitlerjugend) sowie der BDM (Bund Deutscher Mädel) gegründet, Lehrinhalte umgestaltet, Schulfeierlichkeiten festgelegt bzw. ideologisch ausgerichtet und Unzuverlässige aus dem Schuldienst entfernt. Um ihre Existenz zu sichern traten viele Lehrer der NSDAP oder dem NSLB (Nationalsozialistischer Lehrerbund) bei. Die körperliche Ertüchtigung und die propagandistisch in Szene gesetzte soziale Tätigkeit, getragen durch die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt, spielten auch in Nordhausen eine große Bedeutung. So wurden die Gesundheitsvorsorge und die Schulspeisung beibehalten.

Zur politischen Erziehung stand in der Wiedigsburg auch ein Rundfunkgerät als Medium zur Verfügung. Zu besonderen politischen Feiern hörten dann die Schüler der oberen Klassenstufen in der Aula gemeinsam die Rundfunksendungen, z.B. zum Jahrestag des Machtantritts Hitlers. Gelegentlich hielten auch hochrangige Kommunalpolitiker Festansprachen vor den Schülern.

Der Mittwoch und der Samstag gingen im Volksmund als die Uniformtage ein, da an diesen Tagen der Dienst der Jugendorganisationen angesetzt war und die SchülerInnen in den Uniformen der HJ und des BDM zu erscheinen hatten. Zudem konnte sich der VDA (Verein für das Deutschtum im Ausland), der an der Justus-Jonas-Schule aktiv war, über einen großen Zuspruch freuen. Sicherlich zeichnen dafür auch die durch den Verein organisierten Wanderungen u.a. Veranstaltungen verantwortlich.

Hermann-Löns-Feier in der Aula - Theaterstück

Insgesamt galt die Schule im Nationalsozialismus als eine straff geführte und ideologisch ausgerichtete Bildungs- und Erziehungsanstalt. Neben dem obligatorischen Hitlergruß zu Unterrichtsbeginn sei dabei auch auf die Flaggenappelle verwiesen, die zu besonderen Anlässen stattfanden und die fast rituell abliefen: Aufstellung der Schüler im Kreis um den Masten, Fahnenhissung, Ansprache des Direktors, Singen des Horst-Wessel- und des Deutschlandliedes, klassenweises Abrücken in die Unterrichtsräume.

Die durchschnittliche Klassenstärke betrug 35 bis 40 Schüler bzw. Schülerinnen. An Wandertagen wurden Ausflüge in die nähere Umgebung vorgenommen, auf denen die Schüler dann auch ihrer Pflicht des Heilkräutersammelns nachgingen. Über eine Diskriminierung der sechs bis acht jüdischen Mitschüler gibt es keine Informationen. Bedeutende einschneidende Ereignisse bis zum Kriegsausbruch 1939 sind nicht bekannt. Auch zu Beginn des Krieges verlief das Schulleben offenbar in den bisher gewohnten Bahnen, selbst wenn Lehrer zum Kriegsdienst einberufen wurden.

Alte Plakatierungsreste vom Frühjahr 1945 am Südflügel der Wiedigsburg

Die Unterbringung emigrierter Weißrussen, wahrscheinlich Hilfsdienstverpflichtete, in der Justus-Jonas-Schule veränderte nach 1943 den allgemeinen Schulbetrieb. So mussten die Schüler im „Schichtbetrieb“ an der Töpfertorschule unterrichtet werden. Der für diese Zeit typische Fliegeralarm unterbrach auch in der Wiedigsburg mannigfach den Unterricht, bis dieser im März 1945 gänzlich zum Erliegen kam. Angesichts der Kriegslage wurde die Wiedigsburg in eine Notunterkunft für viele Ausgebombte, Flüchtlinge und auch Zwangsarbeiter umgewandelt. Ebenso war hier eine Luftschutzrettungsstelle als behelfsmäßige Ambulanz eingerichtet worden.

Reste des Gymnasiums, Morgenröte – Ecke Taschenberg im Juni 1945

Während der Bombardierung der Stadt Nordhausen am 3. und 4. April 1945 wurde auch die Wiedigsburg stark beschädigt ... und es war damals zweifelhaft, ob sie jemals wieder als Schule in Betrieb genommen werden konnte.

Schule und Schulalltag 1945 bis 1990

Ebenso wie die Stadt bot auch die Wiedigsburg nach Kriegsende ein trostloses Bild: Neben zerborstenen Scheiben, Türen, Dachziegeln, Schutt- und Scherbenhaufen fand sich ansonsten nur gähnende Leere, denn Schulbänke und Lehrmittel hatten sich in dieser schweren Zeit als würdige Heizmaterialien erwiesen. Es regnete auch wochenlang durch Löcher in Dach und Wänden.

Seit April 1945 wurde das Gebäude Rückwanderern zur Verfügung gestellt und durch deren Nutzung im Innenraum z.T. stark beschädigt.

Im Juni 1945, nachdem die Rückwanderer abgezogen waren, begannen notdürftige Reparaturarbeiten, die Monate in Anspruch nahmen und seitens der Beteiligten (Lehrer, Anwärter, Einheimische, Flüchtlinge) enorme Kraftanstrengungen erforderten. Überdies zeigte auch die sowjetische Besatzungsmacht großes Interesse an der baldigen Aufnahme des Schulbetriebes, da dies ein wesentlicher Schritt zur Normalisierung des öffentlichen Lebens darstellte. So konnte im Oktober 1945 der Unterricht wieder aufgenommen werden, die Reparaturarbeiten gingen jedoch unvermindert weiter, die zeitweise für die Wiedigsburgschulen zu einer Unterrichtsverlegung in die Heinrich-Mittelschule bzw. Töpfertorschule führte. Unterrichtsmaterialien waren kaum vorhanden. Die materielle Not war insgesamt sehr groß.

Aufgrund der zahlreich im Zweiten Weltkrieg zerstörten Schulen in Nordhausen sowie der steigenden Schülerzahlen wegen des Zuzugs vieler Flüchtlinge, musste der Unterricht in zwei Schichten (Vor- bzw. Nachmittagsunterricht) erfolgen.

Wenige Jahre später liest man nur noch von der Justus-Jonas-Schule, da die Jungen in der Schule Domstraße untergebracht wurden.

Der geistige Neuanfang in der SBZ (Sowjetischen Besatzungszone) ist auch in den Nordhäuser Schulen durch einen Wandel gekennzeichnet: Während in den vierziger Jahren demokratische und humanistische Wertvorstellungen vorherrschten, werden diese ab Anfang der fünfziger Jahre durch eine strikte sozialistische Orientierung des Bildungswesens verdrängt. Die bereits ab 1948 wirksamen Jugendorganisationen, die Jungen Pioniere und die Freie Deutsche Jugend (FDJ), werden voll in das Schulleben integriert. 1957 nahmen bereits 63 Prozent der SchülerInnen der Justus-Jonas-Schule an der Jugendweihe teil. Dieser Kurs auf das sozialistische Schulsystem findet für o.g. Schule ihren Höhepunkt in der Umbenennung: Nachdem sie dreißig Jahre den Namen des bedeutenden Reformators trug, erhielt sie jetzt den Namen Polytechnische Oberschule „Ernst Thälmann“. Mit dem `Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem` wurde die sozialistische Ausrichtung endgültig fixiert. Der staatsbürgerlichen Erziehung wurde besonderer Wert beigemessen. Die Mitgliedschaft in der Jungpionierorganisation und der FDJ galt als staatsbürgerliches Bekenntnis, gleichwohl die Mitgliedschaft in der Gesellschaft für deutsch-sowjetische Freundschaft und die Teilnahme an der Jugendweihe. So nahmen bereits 1962 fast alle Schüler der Thälmann-Schule an letzterer teil. Auch seitens der Lehrerschaft wurde eine aktive Mitarbeit in den Jugendorganisationen in Form von Tätigkeiten als Gruppenpionierleiter oder FDJ-Gruppenleiter verlangt.

Mit der massiven Werbung für Führungskader der Nationalen Volksarmee wie für die Nationale Front, der Teilnahme am Wehrausbildungslager (ZV) u.a. setzte ab Ende der sechziger Jahre eine zunehmende Politisierung und Militarisierung an den Schulen ein.

Allerdings gab es auch Verbesserungen zu verzeichnen. So wurde 1952 eine Kleinsportanlage angelegt, ein Schulhort (1960) und ein Filmraum eingerichtet sowie eine Schulfunkanlage installiert. Desweiteren war mit dem Anbau des Sanitärtraktes die Errichtung einer modernen Toilettenanlage erfolgt. Hinter der Wiedigsburg wurde 1965 ein Sportplatz geschaffen. Einige Unterrichtsräume erhielten durch Neugestaltung einen fachspezifischen Charakter.

Nach mehreren Jahrzehnten intensiven Schulbetriebs einschließlich der „Fremdnutzung“ 1945 wäre eine grundlegende Rekonstruktion schon lange überfällig, doch dafür war kein Geld vorhanden. Und somit bot die Wiedigsburg im Jahre 1990 auch ein Abbild der wirtschaftlichen Situation der DDR – sie war dringend erneuerungsbedürftig.

Im August des gleichen Jahres wurde die „Ernst-Thälmann-Schule“ aufgelöst. Das Gebäude bekam die neu gegründete Herder-Schule, die ehemaligen Schüler besuchten z.T. andere Schulen und die Lehrkräfte konnten sich an der EOS bewerben oder an andere Schulen des Stadt- oder Kreisgebietes gehen.

Die Unterbringung der Kaufmännischen Berufsschule sowie die zeitweise Aufnahme der Pestalozzischule (1959-88) im Gebäude der Wiedigsburg seien an dieser Stelle nur kurz erwähnt.

Ein typisches Bild seit 1997: Gebäuderekonstruktion Wiedigsburg, hier: die Turnhalle

Die Wiedigsburg 2000 und Perspektiven

Das historische Gebäude präsentiert sich nun, wenn auch noch unvollendet, in einem neuen Flair. Die innere Gestaltung basiert auf Funktionalität gepaart mit sehenswerten Details: Aufarbeitung der alten Türen und Schränke, Farbgestaltung. So erhielten die Heizkörper auf den Fluren Gitterverkleidungen, die gleichzeitig als Sitzgelegenheit dienen. Neben den hellen und freundlich gestalteten Unterrichtsräumen finden sich durchdachte Fachkabinette, die Aula, ein Planetarium, ein Essens- bzw. Aufenthaltsraum, eine Bibliothek und moderne Sanitärbereiche. Für einen behindertengerechten Zugang sorgen zwei Fahrstühle.

Mit dem Jahre 2001 wird, entsprechend der Planung, die Gebäudesanierung vollständig abgeschlossen sein und das Herder-Gymnasium zukünftig in Nordhausen auf einen Schulstandort verweisen können.

Behindertengerechter Eingang zur Wiedigsburg

Die Einrichtung eines Schülercafes sowie eine optisch ansprechende wie funktionale Gestaltung des Schulhofes (und damit auch der Parkplätze für die Lehrkräfte) sollen die attraktive Ausbildungsstätte in dem historischen Gebäudeensemble der Wiedigsburg komplettieren.

Nach Abschluss der Rekonstruktion bietet die Einrichtung ein hohes Maß an Innovation und die besten Voraussetzungen für einen modernen Schulbetrieb. Die zentrale Nutzung des Gesamtgebäudekomplexes schließt die im Schuljahr 1997/98 eröffnete Wiedigsburghalle zur sportlichen Betätigung unter modernsten Bedingungen ein.

Rekonstruierte Westfront der Wiedigsburg